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Rundfunk Berlin
Brandenburg
OZON
Beitrag OZON vom 30.06.2008
Unermüdlich schafften die einfachen Lastensegler Baustoffe für die
explodierende Reichshauptstadt aus der Mark in die Metropole. Vor allem Ziegel.
Doch nicht immer kamen sie ans Ziel. Dutzende Wracks liegen heute auf dem Grund
des Werbellinsees. Nun haben sich Enthusiasten und Unterwasserarchäologen
aufgemacht, ihre Geschichte und ihren Untergang zu erforschen. Ein Stück
Berlin-Brandenburgische Industriegeschichte.
Manuskript:
Nicht leicht sie aufzuspüren in der Dunkelheit. Dann taucht im Licht der
Lampe etwas auf. Deutlich erkennbar, die hochgebogenen Planken an Bug und Heck,
die Kaffen, die ihnen den Namen gaben. Schmuckelement und Orientierungshilfe
beim Steuern. Im Inneren der Maststuhl, der den Segelmast hielt. Hat eine starke
Bö ihn einfach umgeknickt? Den Kahn so in die Tiefe gerissen? Ein Dutzend Wracks
wurden bisher entdeckt. Woher kamen sie, wo wollten sie hin? Waren diese
behauenen Feldsteine vielleicht als Straßenpflaster für den Gendarmenmarkt
gedacht?
Alles ist präzise organisiert dieser Tage am Werbellinsee. Noch
einmal wird die Ausrüstung überprüft: Kameras, Lampen, Sauerstoffflaschen.
Mitglieder des brandenburgischen Kaffenkahnvereins haben das Camp organisiert,
wollen die Wracks zum "Sprechen" bringen. Während hier schon eine erste Skizze
von einem Maststuhl entsteht, plant gleich nebenan Unterwasserarchäologe Andreas
Schablowsky mit seinem Team den nächsten Tauchgang. Gemeinsam mit vier Kollegen
betreut er das Projekt wissenschaftlich.
Bis heute hat der 10 km lange,
aber nur 1 km breite Werbellinsee seine Tücken. Bei auffrischendem Wind gibt es
hohe Wellen in kurzer Frequenz. War das der Grund für so manchen Untergang? Das
Ziel ist erreicht. Letzte Absprache.
O-Ton Andreas Schablowsky:
Unterwasserarchäologe:
"Die Marken sind alle genagelt. Hab ich
gestern gemacht. Ihr werdet auf der anderen Seite, der Steuerbordseite, mit dem
Maßband die Trilateration betreiben."
Eine Messmethode, die sie
anwenden wollen. Doch zunächst ein überraschender Anblick. Die Ladung. Akkurat
liegen die Ziegel neben einander. Als wären sie gerade gestapelt worden. Der
Kahn muss schnell senkrecht wie ein Stein gesunken sein. Etwas weiter - ein
Fenstergitter. Reste der Kajütenwand. Selbst hier hatte der Schiffer noch Ziegel
untergebracht, den Kahn wegen der starken Konkurrenz übervoll geladen. So
konnten die Wellen leicht über die Bordwand schlagen.
Über 30.000
Dachziegel aus Rathenow hatte dieser an Bord. Der einzige erhaltene Kaffenkahn,
der heute im Berliner Technikmuseum steht. Vor mehr als 20 Jahren wurde er vor
der Spandauer Zitadelle gehoben. Eine einfache Konstruktion aus Fichtenholz. Die
Stämme für die Kaffe wurden über dem Feuer gebogen. Genial – krumme Wurzelhölzer
als Spanten zur Verstärkung des Rumpfes. Im vorderen Drittel – der Maststuhl mit
dem 21 Meter hohem Mast, dem gewaltigen Segel.
Unter Wasser gehen
inzwischen die Messarbeiten voran. Vom Heck aus wird der Abstand zu
verschiedenen Marken an der Bordwand und einem Fixpunkt bestimmt. Alles genau
notiert. Nicht einfach unter diesen Bedingungen. Die Sicht ist schlecht, gerade
mal sechs Grad die Wassertemperatur. Unterdessen sind auf dieser schwimmenden
Plattform die letzten Vorbereitungen abgeschlossen. Mehr als 20 Meter darunter
haben die Taucher etwas ganz Besonderes entdeckt: eine vollständig erhaltene
Kajüte. Noch ist überall Schlick. Mit einem Kompressor und einer Art Staubsauger
wollen sie ihn absaugen. Was kann sie erzählen über das Leben an Bord, den
Untergang?
Sah sie aus wie diese? Nach alten Aufzeichnungen
rekonstruiert. Ein Durchgangsraum zum Wohnen und Schlafen unmittelbar vor Heck
und Ruder. Ein mit Holz befeuerte Ofen zum Wärmen und Kochen. In Töpfen und
Krügen wurden Platz sparend Lebensmittel aufbewahrt. Das Trinkwasser in Fässern.
Das Werkzeug. Ständig gab es etwas zu reparieren an dem 36 Meter langen und
viereinhalb Meter breiten Kahn. Das Absaugen ist in vollem Gange. Gründlich wird
der Schlamm nach Fundstücken durchsucht. Im Camp hat das Vermessungsteam
inzwischen mit der Auswertung begonnen. Aus den einzelnen Daten soll ein genauer
Grundriss entstehen.
O-Ton Andreas Schablowsy:
Unterwasserarchäologe
"Der Schiffsriss im Vergleich mit anderen
Schiffswracks, gibt die Möglichkeit zu sehen, ob es eine Bautradition gab, wo
man dann möglicherweise, wenn man feinere, kleinere Unterschiede feststellt,
vielleicht auch verschiedene Typen innerhalb einer Bauart feststellen kann."
Alle Informationen laufen hier im Bürozelt zusammen. Eine umfangreiche
Dokumentation über jedes einzelne Wrack entsteht. Die ersten geborgenen
"Schätze" aus dem Schlamm werden begutachtet: Ein Bleiknopf, Lederreste, Schuhe
- im Landesamt für Denkmalpflege werden sie später weiter untersucht.
O-Ton Mathias Schmidt:
Kaffenkahnverein
"Das ist ein
Stück Industriegeschichte, Industriearchäologie. Also durch die
Transportkapazität konnte man enorme Lasten transportieren, die damals auf der
Straße nicht möglich waren."
Rund 150 Jahre liegen die Wracks schon
im Werbellinsee. In diesem Jahr wurden sie als Bodendenkmal unter Schutz
gestellt.
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